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Die Küche ist kein idealer Rückzugsraum. Andererseits gibt es da Essen, also vielleicht doch. Aber den Geräuschen nach zu urteilen, ist der Person, die sich irgendwo hinter dem Raumteiler aufhält, gerade nicht nach Essen. Es klingt eher, als wäre sie seit meinem Eintreten damit beschäftigt, beim Weinen keine Geräusche zu machen. Leider macht ihr da ein fieser Schluckauf einen Strich durch die Rechnung. Ich debattiere einen Moment still mit mir. Dann räuspere ich mich: „Mach irgendein künstliches Geräusch, wenn du Gesellschaft haben magst. Ansonsten bin ich in ein paar Minuten wieder hier weg, sobald mein Tee durch ist.“
Ich klicke den Wasserkocher an. Immer mit einem halben Ohr in Richtung der Trennwand. Der Schluckauf geht immer noch weiter. Ich bin voller Mitgefühl und entscheide mich für Kirsche-Marzipan. Der Wasserkocher klickt aus und ich fülle meine Tasse. Meine Gedanken drehen sich um die Frage, wann Tee „durch“ ist. Nehme ich die Tasse jetzt einfach mit und finde draussen irgendwo einen Ort für den Teebeutel? Oder lasse ich ihn noch die paar Minuten ziehen und verlasse erst dann die Küche? Die Person hinter der Trennwand nimmt mir die Entscheidung ab: Plötzlich sind da rhythmische Klopfgeräusche. Drei mal kurz, zwei mal lang, drei mal mittellang. Ich stocke einen Moment, weil ich versuche, das in Morsecode zu übersetzen. Aber es ist weder SOS noch SMS, und mehr kann ich nicht. Wichtig ist eh nur, dass es eindeutig ein künstliches Geräusch ist!
Ich folge dem Schluckauf-Geräusch mit meinem Tee hinter den Raumtrenner. Die Person sitzt mit hängendem Kopf auf einem der ausgeleierten Sofas, in den Händen mehrere zerknüllte Taschentücher. Ein hicksendes Häufchen Elend. Sie trägt bequem wirkende Kleidung, Hose und T-Shirt — was angemessen ist, wir befinden uns zwar an einem BDSM-Seminar, aber aktuell ist vor allem der theoretische Teil dran. Das mit der Fetischkleidung wird dann erst heute Abend spannend. Das Namensschild kann ich nicht lesen, aber es klebt ein „er“-Pronomen-Sticker dran. Gut zu wissen. Ich setze mich auf das Sofa daneben — in Gesprächsreichweite, aber nicht in personal space eindringend, hoffe ich. „Hi,“ sage ich sicherheitshalber. Dann widme ich mich meinem Teebeutel.
Nach einem Moment schnieft er, und ich bekomme ein verheultes „hi“ zurück. Er putzt sich geräuschvoll die Nase. Dann sagt er betreten „sorry“, aber es wird durch ein Hicksen unterbrochen. Ich puste in meinen Tee und gucke über den Rand der Tasse zu ihm. „Alles gut. Also, ausser das was bei dir grade nicht gut ist. Der Schluckauf wirkt fies.“
Er nickt. „Der kommt irgendwie vom weinen.“
„So Trittbrettfahrer-mässig?“
„Irgendwie schon.“ Er seufzt. Dann sieht er auf. „Danke. Du musst dich nicht verantwortlich fühlen, ich komm schon klar.“
Ich nippe an meinem Tee. Er ist noch zu heiss. Mein Gegenüber guckt mitfühlend ob meines schmerzvollen Gesichtsausdrucks. Ich stelle die Tasse erst mal ab. „Ich hab grade tatsächlich nichts zu tun,“ erkläre ich, „also, ausser auf meinen Tee warten. Wenn du magst, kann ich dir zuhören, dir etwas erzählen, still hier sitzen oder woanders hingehen. Ich habe bisher keine Präferenz.“ Ausser dass ich neugierig bin.
„Hm.“ Er guckt auf seine Taschentücher, zupft daran herum, hickst. „Danke, dass du keine Schluckauf-Tipps gibst.“
„Das war Zufall,“ gebe ich zu, „aber freut mich, dass es gepasst hat.“ Ich teste erneut meinen Tee. Immer noch nicht. Aber er riecht toll!
Er reibt sich die Augen. Dann fasst er offenbar einen Entschluss. „Ich mache mir Kakao, und entscheide dann. Ist das für dich ok?“
„Klar!“
Er schlurft an mir vorbei und ich bin kurz beeindruckt. Im stehen würde ich ihm vielleicht bis zur Brust reichen. Und vermutlich käme ich mit den Armen nicht ganz rum. Ich schelte mich innerlich, dass ich schon ans umarmen denke, wo noch nicht mal geklärt ist, ob meine Anwesenheit ein Vorteil ist.
Hinter der Trennwand höre ich komische Geräusche, die ich erst nach einer Weile der Kaffeemaschine zuordnen kann. Er macht heissen Kakao! Fancy.
Als er zurückkommt, wirken seine Schritte schon etwas weniger bedrückt. Ich kriege kurz Angst, ob der Schluckauf zusammen mit dem heissen Kakao vielleicht eine Gefahr darstellt — aber er scheint seine Hände unter Kontrolle zu haben und setzt sich ohne Unfall wieder aufs Sofa. Er nippt am Kakao, verzieht das Gesicht, stutzt, und sieht mit einem Anflug von Lächeln zu mir. Ich grinse. „Heisse Getränke,“ fasse ich augenrollend zusammen.
Er nickt und stellt die Tasse hin. „Ich glaube, ich sollte erzählen. Nur schon, um es für mich auf die Reihe zu kriegen. Kannst du mir Bescheid geben, wenn du nicht mehr zuhören möchtest?“
„Japp,“ sage ich und hebe eine Hand, „Handzeichen ok?“
„Ja, kann ich drauf achten.“
„Super!“ Ich bin gespannt.
Er überlegt eine Weile. Die Stille wird nur von Hicksern pointiert, denen gelegentlich ein genervtes Geräusch folgt. Ich fühle still mit. Inzwischen kann ich aber an meinem Tee nippen ohne sehr zu leiden, und mache von dieser neugewonnenen Fähigkeit begeistert Gebrauch.
Dann fängt er an zu erzählen, den Blick wieder auf die Taschentücher gerichtet, und nur gelegentlich in meine Richtung blinzelnd, um ein etwaiges Stopp-Signal mitzubekommen.
„Ich war gerade in einem Bondage-Kurs. Die Riggerin hat irgendwann nach Bunnies gefragt, die ohne Begleitung da sind, um Beispiele an ihnen vorzuführen. Ich hab mich gemeldet und wurde direkt als erstes genommen. Sie hat.. irgendwas gemacht, ich weiss es schon gar nicht mehr.“ Er nimmt einen Schluck Kakao. „Das Problem war auch eher was sie gesagt hat.“ Er hält die Tasse in der einen Hand, die Taschentücher in der anderen. Ich sehe ihm beim Gedanken sammeln zu und frage mich, ab wann nachfragen hilfreich wäre. Aber dann fährt er fort:
„Sie hat aufgezählt, worauf man achten muss, dass die Seile nicht zu eng sind, dass Gliedmassen nicht kalt werden, dass sie ankündigt was sie macht. Und ich habe gesagt, dass ich Bescheid geben würde, wenn etwas nicht gut ist.“
Soweit, so sinnvoll. Aber ich sehe, dass er die Tasse verkrampfter hält.
„Sie sagte, dass sie das nicht möchte. Sie will sich auf das was sie tut konzentrieren, und nicht von Sprache abgelenkt werden. Deswegen ist auf Körpersprache achten wichtig.“
Er stellt abrupt die Tasse hin.
„Ich.. ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war wie abgestellt. Sie hat dann irgendeine Fesselung an mir gezeigt, und dann das nächste Bunny genommen. Ich weiss nicht mehr richtig was dazwischen war. Sie ist dann irgendwann im Raum herumgegangen weil wir etwas selbst an uns üben sollten. Ein Knoten der sich nicht zusammenzieht. Und sie hat mit den zwei neben mir über Überwältigungsspiele geredet. Ich weiss das Gespräch nicht mehr. Nur der eine Satz. Dass sie am liebsten mit Paketen wie mir spielt, weil sie da sicher sein kann, keine Konsens-Grenzen zu übertreten, weil ich ihr körperlich hundert mal überlegen bin und mich wehren kann.“
Shit.
Er sieht auf. Habe ich das laut gesagt? „Shit,“ sage ich sicherheitshalber, „das war beschissen von ihr. Alles davon.“
Er schluckt. Und mir fällt auf, dass sein Schluckauf weg ist. Na hurra.
„Danke,“ sagt er leise. Dafür weint er jetzt wieder. „Ich hab mich irgendwie nicht getraut, direkt rauszugehen und bin bis zum Ende geblieben.“ Er wischt sich genervt die Tränen vom Gesicht, aber es laufen immer welche nach. „Es ist so lächerlich. Und jetzt will ich eigentlich heim oder ins Bett, aber nicht die Abendparty verpassen, aber ich bin auch nicht in Stimmung für Party, und ach..“
Er zieht geräuschvoll die Nase hoch und nimmt die Tasse wieder in die Hand.
„Wenigstens ist der Schluckauf weg,“ sage ich, um irgendetwas zu sagen.
Er lacht kurz auf. Dann trinkt er einen Schluck Kakao. „Und der Kakao ist gut.“
„Es ist nicht alles schlecht,“ fasse ich zusammen. „Tut mir leid, dass du an so ein unsensibles Arsch geraten bist. Wenn du damit okay bist, spreche ich das bei der Orga an — so anonym wie du möchtest.“
Er zuckt mit den Schultern. „Vielleicht.“
„Hm.“ Ich trinke endlich einen grossen Schluck Tee. Der gehört eindeutig auch zur ‚gut‘-Seite. Eine Weile hängen wir still unseren Gedanken und Getränken nach.
„Danke fürs zuhören,“ sagt er irgendwann in die Stille hinein. Es klingt abschliessend.
„Danke für dein Vertrauen,“ gebe ich zurück.. und sehe, dass das die Tränen schon wieder zum laufen bringt. „Falls Körperkontakt für dich etwas positives ist, würde ich dir eine Umarmung anbieten,“ komme ich auf meinen Impuls von vorhin zurück.
Er nickt ohne mich anzusehen. „Das wäre schön.“
Ich stelle meine Tasse hin und setze mich zu ihm auf seinen Sofateil. Wir rutschen und Körperteile-puzzeln einen Moment, bis wir eine gute Stellung finden. Dann habe ich ihn im Arm und mag wie er dabei klein und beschützt aussieht.
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Die CNs für diese Geschichte:
Subdrop, Konsensbruch, Aftercare durch eine fremde Person, Tee, Kakao, schädliche Vorurteile bezüglich Körpergrösse, Erwähnung von Fesseln und Überwältigungsspiel
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